Irgendwann war die Mutlosigkeit so groß, dass Heinrich dachte: „Ich komm niemals ins Leben rein.“ Er war erst 24. Und lebte schon seit über fünf Jahren in einem Obdachlosenheim. Dann lernte er Johannes Kopf vom Würzburger Johann-Weber-Haus kennen: „Das war im Juli 2020.“ Kurz darauf konnte er in die sozialtherapeutische Einrichtung der Christophorus-Gesellschaft einziehen. Seitdem gewinnt Heinrich an Mut: „Ich bekomme in jeder Hinsicht Unterstützung, das tut mir unglaublich gut.“
Zum Glück, sagt der junge Mann, habe er nie eine Neigung zur Sucht gehabt: „Ich sagte mir immer, dass ich ja wirklich tief unten bin, aber mir war klar, dass ich durch eine Sucht noch tiefer abstürzen würde.“ Allerdings musste Heinrich längere Zeit Tabletten nehmen. Wegen Depressionen. Die resultieren aus den belastenden Umständen, unter denen er aufwuchs. Als Kind kam Heinrich mit seiner Mutter und den Großeltern von Sibirien nach Deutschland. Mit dem Mann, den sich seine Mutter später als Partner wählte, vertrug er sich nicht. Es gab ständig Zoff: „Unterstützt wurde ich von meiner Familie nie.“
Es ist offensichtlich, dass Menschen, die in instabilen Familienverhältnissen emotional vernachlässigt aufwuchsen, weit schlechtere Startchancen haben als Zeitgenossen aus wohlbehüteten Familien, sagt dazu Johannes Kopf. Viele haben soziale Schwierigkeiten. Viele Probleme, dauerhaft fest zu wohnen. Eben für solche Männer ist das Johann-Weber-Haus da. 28 Plätze stehen zur Verfügung. Aktuell können allerdings nur 25 Männer aufgenommen werden: „Wir halten drei Plätze für Quarantänefälle frei.“ Das ist sinnvoll, bedeutet aber auch, dass einige der Männer, die derzeit gerne aufgenommen würden, länger als sonst auf den Einzug warten müssen.
Als er wusste, dass er den Platz im Haus sicher hat, wurde Heinrich erst mal von ambivalenten Gefühlen überschwemmt. „Ich bekam Depressionsanfälle und war schon dabei, mir Ausreden zu überlegen, warum ich nicht kommen könnte“, gibt der Lagerlogistiker zu. Auf was würde er sich da einlassen? Wie würde er klarkommen? Heute ist Heinrich heilfroh, dass er den Mut fand, ins Johann-Weber-Haus einzuziehen. Zum ersten Mal hat er das Gefühl: „Ich komme Schritt für Schritt ins Leben hinein.“ Sogar eine schwere Krise meisterte er mit Hilfe des Teams im vergangenen Jahr: „Mein Großvater starb plötzlich an Corona.“
Im Moment durchläuft Heinrich so etwas wie eine Qualifizierungsmaßnahme in der Schreinerwerkstatt der sozialtherapeutischen Einrichtung. Holz, räumt er ein, sei zwar nicht gerade das Material, dem er allzu viel abgewinnen könne. Doch es geht auch nicht darum, aus Heinrich einen Schreiner zu machen. Heinrich trainiert Arbeitstugenden: „Vor allem, durchzuhalten.“ Dass wir nach wie vor in Krisenzeiten leben, kommt ihm in der Werkstatt in gewisser Hinsicht zugute. „Normalerweise arbeiten hier bis zu acht Leute, momentan sind wir jedoch nur zu dritt oder zu vier.“ Das findet Heinrich gut, denn dadurch hat er mehr von Werkstattleiter Stefan Nothegger.
Menschen wie Heinrich haben einen Rechtsanspruch auf Unterstützung. Das Team des Johann-Weber-Hauses tut gerade in diesen Krisenzeiten alles, um den Männern zu helfen, wieder oder oft auch erstmals auf eigenen Beinen zu stehen. Personell geschieht dies laut Johannes Kopf vom Leitungsteam unter erschwerten Bedingungen: „Seit der Omikron-Welle ist fast ständig irgendjemand von unserem Team krank oder in Quarantäne.“ Mit weniger Personal als sonst müssen viel mehr Aufgaben erledigt werden. Dazu gehört selbstverständlich auch, Gespräche anzubieten, wenn etwas so Schlimmes passiert, wie Heinrich das mit seinem Opa erlebt hat.
Vor allem leidet auch das Gemeinschaftliche, ergänzt Johannes Kopf. Die Männer seien mehr als früher in ihren Zimmern. Einige zögen sich stark zurück. Die psychischen Belastungen verstärken sich.
So ist das Team im JWH mehr denn je gefordert. Trotzdem oder gerade deswegen ist ein großer Zusammenhalt und sehr viel Engagement zu spüren. Das färbt auch auf die Bewohner ab.
Heinrich könnte nun mit viel Schwung an eine Arbeit irgendwo „draußen“ gehen. Durch die Schreinerwerkstatt, sagt er, sei seine Motivation gerade enorm hoch. Das zu spüren, ist schön für den psychisch erkrankten Mann, denn es gab Zeiten, in denen das Wort „Arbeit“ nur negativ aufgeladen war. Heinrich hangelte sich von Zeitarbeitsjob zu Zeitarbeitsjob. Und erlebte die Härten des Arbeitsmarktes in aller Krassheit. Nun hofft er auf eine feste Stelle. Und dann auch irgendwann auf eine eigene Wohnung. Es zeichnet sich allerdings ab, dass sich beides noch ein wenig hinziehen könnte. Zum Glück fühlt sich Heinrich im Johann-Weber-Haus weiterhin wohl.
Bild und Text: Christophorus-Gesellschaft